Dienstag, 16. Juni 2015

Sven Ulreich: Verrat oder logischer Schritt?

17 Jahre lang trug Sven Ulreich das Trikot des VfB Stuttgart. Nun wechselt er zur kommenden Saison zum FC Bayern München. Da stellt sich die altbewährte Frage: Verräter oder logischer Schritt?

Sven Ulreich galt als Identifikationsfigur beim VfB. Auch in schweren Zeiten schlug er nicht nur lukrative Angebote von anderen Vereinen aus. Er verzichtet auch selbst auf Gehalt, um einen neuen Kontrakt bei seinem Verein zu bekommen. Als Stuttgart um den Abstieg fürchtete, war Ulreich einer der Rückhalte des Teams.

Nun hat sich der deutsche Rekordmeister die Dienste des Torwarts gesichert. Angesichts der Tatsache, dass Manuel Neuer die unumstrittene Nummer eins ist, dürfte klar sein, dass Ulreich nur die Nummer zwei sein wird. Vom Stammtorhüter zum Reservist bei den ungeliebten Münchenern.

Vor allem, weil er immer wieder seine Liebe und Treue zum Verein bekundete, ist die gängige Bezeichnung „Verräter“ doch leicht gesprochen. Ulreich verlässt den VfB, der nach zwei katastrophalen Saisons einen Neuanfang versuchen möchte. Gerade jetzt, wo Stuttgart zurück in alte Dimensionen möchte, verlässt eine Stammkraft das sinkende Schiff. Verrat an seinen eigenen Überzeugungen.

Oder doch nicht? Fakt ist, dass Ulreich zwar bei den Fans immer einen besonderen Status genoss. Bei Verantwortlichen und Trainern war das nicht immer so. So wurde er zu Beginn der Saison zur Nummer zwei hinter Torsten Kirschbaum degradiert. Ohne, dass es dafür einen nennenswerten Grund gab. Einfach, weil Veh, der Trainer, es so wollte. Erst als Kirschbaum nicht die Leistung brachte, die man sich von ihm erhoffte, durfte Ulreich wieder in den Kasten.

Und auch nach Erhalt der Klasse sprach man kein hundertprozentiges Vertrauen an den Schlussmann aus. Sicherlich hat er zum Erreichen dieses Ziels beigetragen. Ein Bekenntnis von Sportchef Robin Dutt sieht aber anders aus.

Beim VfB hat man nicht unbedingt mehr mit Ulreich geplant. Vielleicht wurde ihm ein Wechsel nahe gelegt. Zumindest aber legte man Seitens des VfB dem Torwart keine Steine in den Weg. Und das, obwohl Ersatztorhüter Kirschbaum ebenfalls vor dem Abgang (Nürnberg hat Interesse) steht und damit Stuttgart ein komplett neues Torhüterduo verpflichten muss.

So kann es für Ulreich keine bessere Adresse geben, als den FC Bayern München. Klar, er wird nur Nummer zwei sein. Der Stammplatz ist weg. Allerdings dürfte er sich dennoch weiter entwickeln – auch ohne Spielpraxis. Die Bayern selbst haben hingegen einen recht starken Ersatztorhüter, der sich auch mit der Rolle als Nummer 2 abfindet. Eine win-win-Situation für alle drei Parteien, da der VfB durch den Wechsel noch eine Abfindung in Millionenhöhe kassieren wird.

Sicherlich sind die Fans das VfB enttäuscht. Stellenweise macht man sich sogar in den sozialen Netzwerken über diesen Wechsel lustig. Da ist sogar von „Ja zur Rente mit 26“ zu lesen. Dennoch sollten eben jene Fans auch mal die Machenschaften der Verantwortlichen hinterfragen. Beim VfB lief in den letzten Jahren einiges falsch. Da muss man sich nur mal den Umgang mit Retter Huub Stevens anschauen. Die Frage, was hinter den Kulissen passiert, darf da nicht unberücksichtigt bleiben. An der Oberfläche schaut es nur so aus, dass Ulreich dem Verein den Rücken zuwendet, um bei den Bayern als Ersatztorhüter anzuheuern. Kohle, statt Stammplatz und Leidenschaft. Doch was dahinter abgelaufen ist, weiß niemand. Ansonsten hätte Ulreich wohl kaum einen Wechsel in Betracht gezogen. Wäre er zur unbestrittenen Nummer eins beim VfB ernannt worden. Hätte der Verein ein zukunftsorientiertes Konzept vorgelegt. Wäre der Wechsel vielleicht nie zu Stande gekommen. So nutzt Sven Ulreich die Gunst der Stunde, die er sich, aus meiner Sicht, auch verdient hat. Er hat immer hinter dem VfB gestanden – egal wie schlecht es stand. Dennoch wurde er immer wieder zur Nummer zwei degradiert oder kritisiert, wenn er mal Fehler machte. Oftmals wurde nicht die Abwehr in Frage gestellt, sondern Ulreich. Den Lohn wird er nun bei den Bayern dafür bekommen. Zwar nicht in Spielzeiten, vielleicht aber mit Entwicklungschancen.

Im Übrigen gibt es noch so einen Fall, in dem ein Spieler jahrelang einem Verein treu war, der Verein selbst es ihm aber nicht gedankt hat. Die Rede ist von Tobias Sippel. Der FC Kaiserslautern hat ihn auch immer wieder zur Nummer zwei degradiert, wenn gerade ein besserer Torwart vorhanden war. War dies nicht der Fall, war Sippel gut genug. Auch er holt sich dafür jetzt seinen Lohn ab, in dem er bei Borussia Mönchengladbach als Nummer zwei anheuert. Was damit der einzige Aufstieg eines FCK'lers in die erste Liga bedeutet.