Mittwoch, 12. Februar 2014

Die Weitenjägerinnen

Das Olympische Komitee versucht bei jeden Olympischen Spielen mit der Zeit zu gehen und Sportarten und Disziplinen entsprechend zu gestalten. Dazu gehört auch, dass Frauen zu Sportarten Zugang erhalten, der vorher ausschließlich Männern vorbehalten war. In Sotchi steht nun zum ersten Mal das Skispringen für die Frauen im Programm der Olympischen Spielen.

Martin Schmitt, Sven Hannawald, Adam Malysz, Janne Ahonen. Das alles sind Namen, die auch jenen bekannt sind, die sich nicht intensiv mit der Sportart Skispringen beschäftigen. Alle vier zeichnen zahlreiche Medaillen und Titel aus, die sie und ihre Sportart immer bekannter werden ließen. Doch kaum jemand kennt Menschen, wie Lindsey Van, Ulrike Gräßler und Anette Sagen. Diese drei stellen aber immerhin das erste Podest im Skispringen der Frauen bei einer Weltmeisterschaft dar. Sie sind damit Vorreiterinnen für eine Disziplin, die, ähnlich dem männlichen Pendant, immer bekannter zu werden scheint.
Mittlerweile haben sich die Namen auf den Podien geändert. Sara Takenashi dominiert den Weltcup nach belieben. Für Deutschland hat Carina Vogt die nationale Spitzenposition übernommen. Gräßler (aktuell 16. im Weltcup), Van (30.) und Sagen (43.) wurden abgelöst. Diejenigen, die dazu beitrugen, dass der Sport in ihren Ländern an Bekanntheit gewinnt, sind ausgerechnet zu dem Sportereignis in der Nebenrolle: Den Olympischen Spiele. Dabei zeigt sich, dass die Disziplin jung ist. Iraschko-Stolz war mit 29 einer der ältesten im Olympischen Wettbewerb; bei den Herren ist Noriaki Kasai mit über 40 immer noch aktiv. Für Deutschland war unter anderem Gianina Ernst am Start; mit gerade einmal 15 Jahren.

Die Frage ist nun: Können die Damen überhaupt einen Wettbewerb bieten, der nicht nur spannend, sondern, was im Skispringen eine große Rolle spielt, auch ästhetisch mit ihren männlichen Kollegen mithalten? Alles andere als „ja“ wäre bei dieser Frage gelogen. Zwar muss fehlende Sprungkraft in den Beinen durch einen längeren Anlauf kompensiert werden. Trotzdem macht Frauen-Skispringen Spaß. Dies verdeutlichte noch einmal der Wettkampf bei den Olympischen Spielen. Vor allem Deutschland dürfte hierbei als strahlende Nation aus dem Wettkampf hervorgehen.

Carina Vogt trägt sich als erste Olympiasiegerin in dieser Sportart in die Geschichtsbücher ein. Eine deutsche Einzelmedaille gab es zuletzt 2002 mit Sven Hannawald; die letzte Goldmedaille datiert gar aus dem Jahr 1994, als Jens Weißflog in Lillehammer triumphieren konnte. Und nun Carina Vogt. Mit einem starken ersten Sprung sicherte sie sich die Grundlage für diesen Erfolg; auch wenn es am Ende durchaus nochmal spannend wurde. Und wie verrückt Olympische Spiele laufen können, hat sich auch bei Sara Takenashi gezeigt: Mit 10 Saisonsiegen war sie die Favoritin auf Gold; und holte am Ende „nur“ den vierten Rang. Stattdessen konnte Daniela Iraschko-Stolz mit einem noch überragenden zweiten Satz von Platz 6 auf Rang 2 vorspringen. Der Zuschauer sah nicht nur weite Sprünge, sondern auch zahlreiche schöne Flüge. Nicht nur bezogen auf die Weite. Auch die Haltung im Flug unterschied sich in keinster Weise von den Herren der Schöpfung.

Deutschland als Sportnation hat solch einen Schub gebraucht. Zumindest hoffe ich, dass dieser Sieg einen Schub auslösen wird. Seit Jahrzehnten sind die Springen der Männer fester Bestandteil des Fernsehprogramms, obwohl die Leistungen viel zu oft durchwachsen sind. Zu Zeiten von Hannawald und Schmitt gab RTL gar Millionen aus, um sich die Übertragungsrechte für Vier-Schanzen-Tournee und Weltmeisterschaften zu sichern. Doch die springenden, fliegenden, Frauen spielten kaum eine Rolle. Wenn überhaupt, gab es Zusammenfassungen von Springen. Stattdessen liegt der Fokus auf den Herren, die nicht immer ihrer Favoritenrolle gerecht werden. Da gerät völlig außer Acht, dass Vogt nicht nur auf Rang 2 im Gesamtweltcup liegt, sondern auch bereits 8 Podestplätze geholt hat. Und nun den Sieg bei Olympia. Es liegt nun an den Fernsehanstalten, diese „neue“ Sportart auch entsprechend zu fördern und zu übertragen. Nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig.

Doch nicht nur die Fernsehsender tragen diese Verantwortung. Auch die internationalen Komitees müssen nun handeln.
Denn der erste Schwachpunkt offenbart sich schon beim Blick auf das Olympische Programm. Während die Herren mit dem Wettbewerb auf der Normalschanze, der Großschanze und dem Teamspringen von der Großschanze gleich drei Mal an den Start dürfen, steht für Vogt und Co. lediglich ein Wettkampf von der Normalschanze auf der Liste. Keine Großschanze, kein Teamwettbewerb.
Vor allem, da sich bei Weltmeisterschaften der Mixedwettbewerb mit je zwei Frauen und zwei Männern etabliert hat. Während diese Disziplin beim Biathlon zum Olympischen Programm gehört, fehlt er für das Skispringen bisher noch. Für die Sportart wäre es wichtig, dass diese Disziplin den Weg ins Olympische Programm findet. Und zwar schon für die Spiele 2018.
Ebenso finden sich kaum Wettbewerbe auf einer Großschanze. Im Weltcup werden gar nur zwei Springen von einer K134 (Oslo), bzw. K139 (Planica) ausgetragen. Hierbei wäre es nicht nur für den Zuschauer ein Erlebnis. Vielmehr hätten auch die Damen hier eine Möglichkeit, um weit fliegen zu können. Dieses Gefühl kann bei einer Normalschanze kaum auftreten. Um so wichtiger wäre es, dass Großschanzen aufgenommen werden. Zahlreiche Athletinnen, wie Vogt, äußerte entsprechende Wünsche bereits. Warum dies noch nicht passiert ist, erschließt sich mir nicht. Es kann hier auch nicht von fehlender Erfahrung oder zu großer Sicherheit gesprochen werden. Dieses Risiko besteht auch bei den Herren, wenn Teilnehmer aus Ländern, wie Rumänien und Bulgarien antreten.
Dass ein Teamwettbewerb momentan auf Grund fehlendem Personal noch nicht möglich ist, klingt für mich plausibel. Österreich ist sicherlich ein Land der Skispringer. Trotzdem waren „nur“ drei weibliche Teilnehmerinnen am Start. Lediglich Slowenien und Deutschland hätten mit je vier Springerinnen einen Teamwettbewerb durchführen können. Trotzdem gab es neun Nationen, die mindestens zwei Springerinnen dabei hatten. Ein Mixedwettebewerb wäre hier durchaus möglich gewesen.
Doch die Spiele sind in dieser Hinsicht schon entschieden. Es bleibt hier die Hoffnung, dass entsprechende Veränderungen für 2018 aufgegriffen werden.

Aber nicht nur im Olympischen Programm bedarf es dieser Veränderungen. Wie erwähnt finden lediglich zwei Wettbewerbe auf einer Großschanze statt. Skifliegen ist generell nicht im Programm. Doch auch die Tatsache, dass nur ein Mixed-Wettkampf ausgetragen worden ist, zeigt, dass hier großes Potential nicht genutzt wird. Eben jene Veränderungen wünschen sich die Skispringerinnen, wie auch Carina Vogt betonte. Dadurch wäre es möglich, im Windschatten ihrer männlichen Kollegen in die Aufmerksamkeit zu springen und neu in den Fokus zu kommen. Dass diese Disziplin auch den Athleten Spaß macht, steht hier außer Frage, lassen sich doch sportartenübergreifend ähnliche Empfehlungen lesen.
Ich persönlich hoffe und wünsche es mir, dass die FIS hierbei für die nächste Saison reagiert und den Weltcup entsprechend anpasst. Im Sinne des Sportes, im Sinne der Zuschauer, im Sinne der Athletinnen.

Was bleibt also noch über die Olympiasiegerin zu sagen?
Ich habe wirklich bewusst seit 2002 die Spiele verfolgt (unbewusst schon ab 1998). Ich hatte mich damals tierisch über das Mannschaftsgold im Skispringen gefreut, als Martin Schmitt mit 130 Metern genau die Weite erzielte, die reichte, um mit 0,1 Punkt Vorsprung zu gewinnen. Für mich heute noch ein absoluter Gänsehautmoment. Doch auch Vogts Sieg gehört für mich in diese Kategorie. Eben weil sie nicht die Favoritin schlechthin war. Eben weil sie die erste war, die Olympiasiegerin wurde. Eben weil es so spannend war. Da bedauere ich es fast, dass es nur diesen einen Wettkampf gibt. Es hat mir großen Spaß gemacht dieses Springen zu verfolgen. Ich hatte nicht nur eine Gänsehaut, sondern im Moment, als die „1“ aufleuchtete Tränchen in den Augen. Das war ein ganz besonderer Olympiamoment für mich. Carina Vogt ist eine verdiente Olympiasiegerin und ich hoffe, dass sie weiterhin eine Rolle im Weltcup spielen wird.

Und für alle, die den Siegsprung nochmals oder erstmals sehen möchten, gibt es hier noch das Video: Link

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